„Sie ist … offenkundig unsicher und fachlich nicht sattelfest“ Peer Steinbrück über Angela Merkel. Offenbar ein schwerer Irrtum: Ein paar Monate später wurde sie zur Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland gewählt - und auch 14 Jahre später hat sich an dieser Tatsache nichts geändert. Natürlich kann man einen hitzigen Wahlkampf nicht für bare Münze nehmen, dennoch stellt sich wie so oft die Frage: Wäre es genauso abgelaufen, wenn ein Mann die Kandidatur angestrebt hätte?
Es zeigt sich immer wieder, dass Frauen viel zu häufig mit anderen Maßstäben konfrontiert werden als Männer. Dies zeigt sich vor allem bei der Beschäftigungsquote, dem Gehalt und dem Frauenanteil im Management.
Dabei sind Frauen seit Jahren mindestens genauso gut ausgebildet wie Männer. Sie besuchen Universitäten, machen dort die besten Abschlüsse und qualifizieren sich daher oftmals hervorragend.
Doch trotz der Tatsache, dass der weibliche Teil der Bevölkerung in Sachen Bildung extrem aufgeholt hat, stagniert die Entwicklung der normalerweise daraus resultierenden Berufstätigkeit weiterhin.
Ein möglicher Karrierekiller scheint da die Entscheidung mit sich zu bringen, eine Familie zu gründen. Der Spagat aus der Verpflichtung des Kindes gegenüber und gleichzeitig dem Job führt dabei zu Dissonanzen. Darauf weisen auch kürzlich durchgeführte Studien hin. Diese bezeichnen die beschriebene Problematik als „the Mommy Effect“, welcher letztendlich oft in Reduktion oder sogar gänzlicher Unterbrechung des ausgeübten Berufes resultiert. Denn dieser Balanceakt zwischen Familie und Beruf bleibt für viele Frauen ein Ding der Unmöglichkeit oder besser gesagt: Dritte erklären es dazu. Nur knapp ein Drittel der Frauen arbeiten im Management von Unternehmen, lediglich zehn Prozent sind Mitglieder des jeweiligen Vorstandes und nur drei Prozent zählen zu den Geschäftsführerinnen größerer Unternehmen innerhalb der EU. Außerdem sind Mütter weit seltener in Führungspositionen zu finden als Frauen insgesamt.
Zwar haben die Frauen beim beruflichen Qualifikationsniveau zu den Männern aufgeschlossen. Doch entscheiden sie sich häufiger als Männer für einen meist schlechter bezahlten Dienstleistungsberuf und seltener für eine Karriere in der Industrie oder im Handwerk.
All diese Aspekte zeigen, dass die vermeintlich erreichte Gleichberechtigung der Geschlechter möglicherweise doch nicht so weit fortgeschritten ist, wie es oftmals den Anschein hat. Doch warum ist das so?
Der Grund hierfür lässt sich im menschlichen Verhalten finden, welches zu großen Teilen durch gesellschaftliche Erwartungen determiniert ist. Mit anderen Worten heißt das, dass die Erwartungen, welche an Mädchen und Frauen gestellt werden, eben nicht denen entsprechen, die der Männerwelt begegnen. Er ist nun mal impulsiv, ehrgeizig, risikobereit und machtbewusst, während sie eher anpassungsfähig, fürsorglich, empathisch, sozial und stets regelkonform auftritt. Klingt nach abgedroschenen und völlig veralteten Geschlechterklischees. Und auch wenn so manche Unterschiede zwischen Männern und Frauen nicht von der Hand zu weisen sind, so haben stereotype Vorstellungen einen starken Einfluss auf uns.
Darüber hinaus führen diese teilweise oft tief verwurzelten Ansichten oder Tendenzen im späteren Berufsleben oftmals zu Dilemmata, welche am besten durch Beispiele aus der Praxis deutlich werden. Geht es beispielsweise darum, dass im beruflichen Kontext ein Mann einen Kollegen unterbricht, so wird dies als normaler Teil einer angeregten Diskussion angesehen. Falls allerdings eine Frau dies täte, gilt sie als aggressiv. Es scheint also keinen Mehrwert zu bringen, das Verhalten, welches die männlichen Kollegen an den Tag legen, zu imitieren. Doch nun zum eigentlichen Dilemma. Falls sich die Frau innerhalb dieser Situation nun entscheiden sollte, typisch weibliche Verhaltensmuster an den Tag zu legen, wie beispielsweise Verständnis oder Rücksicht, so erlangt sie dadurch vielleicht die Zuneigung der Kollegen, aber im gleichen Zuge wird an ihrer Kompetenz gezweifelt.
Doch das Problem der Disbalance zwischen den Geschlechtern liegt stellenweise sogar noch viel tiefer. Es ist davon auszugehen, dass Frauen oftmals selbst an ihre Unterlegenheit glauben. Eine Studie mit arbeitssuchenden Männern und Frauen zeigte, dass sich Männer tendenziell Jobs über ihrem jeweiligen Qualifikationsniveau suchen, während Frauen eher dazu neigen, unterhalb zu suchen. Als Grund gaben die Forscher an, dass viele Frauen ihr Scheitern mit fehlendem Talent und ihre Intelligenz mit Schauspielerei assoziierten (Impostereffekt). Die Männer hingegen würden tendenziell selbstbewusster auftreten und Misserfolge eher dem Faktor Pech zuordnen.
Trotz aller Errungenschaften der letzten Jahrzehnte wird daher klar, dass es auch noch im Jahr 2020 Aufholbedarf im Punkto Gleichstellung zwischen Frau und Mann gibt. Dabei kann das Schaffen des Bewusstseins darüber einen ersten wichtigen Schritt darstellen. Abgesehen davon könnten Veränderungen innerhalb der Auswahlverfahren hilfreich sein. So sei ein amerikanisches Orchester beispielsweise dazu übergegangen, die Bewerberinnen und Bewerber hinter einem Vorhang vorspielen zu lassen. Das Ergebnis war wenig überraschend - der Anteil der Frauen stieg drastisch.
Doch auch Frauen selbst können die notwenigen Veränderungen unterstützen: Es sei absolut zentral, dass Frauen ihre Scheu überwinden und selbstbewusst zu sich und ihrem Können stehen, sodass - irgendwann hoffentlich - berufsrelevante Aspekte wie Fachkompetenz oder Motivation alleine über ihren beruflichen Erfolg bestimmen.